15.06.2007, 10:52
Unter http://www.hauskirchen-forum.de/index.php?...opic=341&st=75& hat sich eine Diskussion zu dem Thema entwickelt, ob man denn Geld für geistliche Dienste nehmen dürfe. Da diese dort etwas off topic ist, hier ein eigener Zweig.
Der Eröffnungseintrag ist mal wieder etwas größer geraten, aber das scheint mir nötig, um ein Mindestmaß an Zusammenhang zwischen den einzelnen biblischen Aussagen darstellen zu können:
Paulus hatte gute Gründe, neben seinem apostolischen Dienst einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Indem er niemanden finanziell belastete, war er unangreifbar. Ihm unlautere Motive für seinen Dienst zu unterstellen, wäre so selbst für einen böswilligen Zeitgenossen schwierig gewesen. »Denn Ihr selber gewahret, wie es bindend ist, uns nachzuahmen, da wir uns nicht unordentlich inmitten von Euch verhielten, aber auch nicht geschenkweise seitens jemandes Brot aßen, sondern in Ermüdung und Anstrengung nachts und tags Wirkende waren, um nicht jemand von Euch zu beschweren; nicht, daß wir nicht Autorität haben, sondern, auf daß wir uns selber Euch als Typus (Vorbild) geben zum Uns-Nachahmen.« (2. Thess. 3, 7ff) Daß der Arbeiter grundsätzlich seines Lohnes wert ist, daß man dem dreschenden Ochsen nicht das Maul verbinden soll, bleibt unbestritten. Hier ist aber sorgfältig zu unterscheiden zwischen Erwerbsarbeit im bürgerlichen Sinne und Arbeit im Bereich der Regentschaft Gottes. Wer sich von Gott gebrauchen läßt, um Gottes Werke zu tun, sät geistlich; seine Ernte kann also auch nur geistlich sein. Das heißt, er erhält Lohn von Gott, sei es in diesem oder dem nächsten Zeitalter. Wer aber einen direkten Lohnanspruch aus seiner Tätigkeit ableitet, bringt damit zum Ausdruck, daß diese Tätigkeit zum Bereich dieser Welt gehört. Deswegen schreibt Paulus, daß es bindend ist, ihn hierin nachzuahmen, auch daß sein Mühen um eigenen Broterwerb kein Zeichen mangelnder geistlicher Autorität ist, sondern im Gegenteil Vorbildcharakter hat. Er stellt den gegenteiligen Dienstentwurf (nämlich »geschenkweise jemandes Brot zu essen«) sogar sehr direkt als »unordentlichen Wandel« dar und weist an, sich von jedem Bruder abzusondern, der seinem Vorbild in dieser Frage nicht folgt!
Wer eine geistliche Botschaft von Gott empfangen hat, sollte im Regelfall die wirtschaftlichen Mittel, die zur Verbreitung dieser Botschaft notwendig sind, nicht den Adressaten dieser Botschaft aufladen, sondern selbst von Gott empfangen und dann zur Verfügung stellen. Dies stellt natürlich nicht nur das Pastorenkirchentum in Frage, sondern auch den ganzen »christlichen« Buch- und Musikmarkt. Dieser könnte freilich erheblich an Übersichtlichkeit und Tiefe gewinnen, wenn dieses Prinzip berücksichtigt würde. Christliche Verkündigung darf nie Marktgesetzen unterworfen werden.
Schauen wir uns in diesem Zusammenhang Kol. 3, 23f an: »Das, was Ihr tut, aus der Seele wirket es, als dem Herrn und nicht den Menschen, als Gewahrende, daß Ihr vom Herrn davonnehmen werdet das Vergelten (den Lohn) des gesetzgemäßen Losteiles (Erbes); dem Herrn Christos sklavet (dienet).« Wir sehen folgendes: Auftraggeber und Empfänger unseres Dienstes ist Christus, daher kommt auch von ihm unser Lohn. Dies betrifft sowohl unseren Lohn in diesem Zeitalter als auch im künftigen: Mk. 10, 29f belehrt uns darüber, daß Gott sich für beides zuständig erklärt hat. Wir können aber die Hand nicht zweimal aufhalten und Lohn sowohl von Gott als auch von denen erwarten, die wir geistlich versorgen. Hier können wir analog das anwenden, was in Matthäus 6 über Ehre gesagt wird: Wenn wir für unser Wohltun Ehre von Menschen erwarten, werden wir diese vielleicht erhalten, unser Lohn ist aber damit abgegolten; von Gott haben wir darüberhinaus nichts zu erwarten. Was hier über Ehre und Anerkennung gesagt ist, können wir entsprechend auch auf materielle Güter beziehen, zumindest, soweit es unseren geistlichen Dienst betrifft.
Nun gibt es sicherlich Situationen, wo Brüder zur Ausübung ihres Dienstes auf finanzielle Unterstützung anderer angewiesen sind, diese werden aber in aller Regel zeitlich begrenzt sein. Wenn zum Beispiel jemand einen evangelistischen bzw. apostolischen Dienst in einem fremden Land tut, wo er, vielleicht aufgrund fehlender Arbeitserlaubnis, gar keine Möglichkeit hat, seinen Unterhalt selbst zu bestreiten, so ist es sicher besser, wenn er von der Unterstützung anderer Geschwister lebt, als daß sein Dienst ungetan bliebe. In diesem Falle kann man nicht davon sprechen, daß er das Wort Gottes gegen Lohn austeilen würde, nimmt er doch seinen Unterhalt nicht von den Adressaten seiner Verkündigung, sondern von denen, die ihn senden, und die er gleichsam vertritt. Er ist als Teil der sendenden Gemeinschaft anzusehen, die damit insgesamt als Verkündiger auftritt und deshalb auch insgesamt die Last des Dienstes trägt. Diejenigen, an die sich seine Verkündigung richtet, bleiben unbelastet.
Grundsätzlich gilt: Was wir umsonst empfangen haben, sollen wir auch umsonst weitergeben (Mt. 10, 7f). Erinnern wir uns: Diejenigen, die ihren Glauben zur Basis ihres Lebensunterhalts gemacht haben, hat Jesus aus dem Tempel gepeitscht (Joh. 2, 15).
Die potentiellen Gefahren der Hauptamtlichkeit, von denen ich einige nachfolgend beschreibe, überwiegen jedenfalls meist den möglichen Nutzen. Natürlich muß nicht jede dieser Gefahren in jedem einzelnen Fall wirksam werden. Natürlich entfalten sich einige dieser Gefahren genauso auch bei nicht fest angestellten Leitern. Allerdings ist ihre Wirksamkeit so regelmäßig zu beobachten, daß wir uns eine nähere Betrachtung dieses Gefährdungspotentials nicht ersparen dürfen:
Die erste Gefahr besteht in der Klerikalisierung. Je professioneller das System der Hauptamtlichkeit betrieben wird, desto mehr wird die Herausgerufene in »Kleriker« und »Schafe« gespalten. Am Ende haben wir einen weltlichen, bestenfalls alttestamentlichen Dienstleistungsbetrieb, in dem die Wenigen gegen Entgelt für die Erbauung der Vielen ackern. Umgekehrt bedeutet dies aber, daß die »Schafe« wenig Veranlassung haben, geistlich aktiv zu werden und der Gemeinschaft mitzuteilen, was ihnen von Gott gegeben wurde. Das Wachstum dieser quasi arbeitslos gewordenen Brüder und damit das der Gesamtheit stagniert. Viele Gaben verkümmern, weil sie einfach nicht abgerufen werden ? die »geistliche Grundversorgung« der Versammlung ist ja durch den Profi gewährleistet. Der Begriff »geistliche Grundversorgung« riecht natürlich förmlich nach Sozialamt und Armenspeisung; genau das bedeutet er aber auch: Ein armseliger Ersatz für die von Gott vorgesehene Fülle, die eine bruderschaftliche Leitung erst ermöglichen würde. Die von Gott gesetzte Ordnung, derzufolge das Leben der Herausgerufenen von der Gesamtheit der Mündigen getragen wird, ist unwirksam gemacht.
Das pastorenkirchliche Gemeindeverständnis, demzufolge eine Gemeinde von einem Pastor geleitet wird, hat die Funktion des Hirtendienstes in ihr Gegenteil verkehrt: Während es die Aufgabe eines Hirten wäre, die Begabungen der einzelnen Glieder zu stärken und ihnen zu helfen, ihren von Gott verordneten Platz zu finden und auszufüllen, zieht der Pastor einen unverhältnismäßig hohen Teil des Dienstes an sich selbst. Dabei wird er meist gern zugeben, daß ihm diese Last zu groß ist und daß er sich mehr Entlastung durch die anderen Glieder wünschen würde, aber die pastorenkirchliche Struktur steht dem entgegen und natürlich auch der gesunde Menschenverstand: Wer möchte schon eine Arbeit selbst tun müssen, für deren Erledigung er bereits jemanden bezahlt hat?
Für den Hauptamtlichen bedeutet dies, daß er über sein Vermögen gefordert wird. Er hat ? in aller Regel ? von Gott nicht mehr an geistlicher Begabung erhalten als seine Mitbrüder. Trotzdem soll er ständig predigen, lehren, versorgen. Das aus dieser Konstellation folgende Defizit versucht er durch das größere Wissen und die bessere Methodik seiner theologischen, heutzutage oft sogar psychologischen Ausbildung auszugleichen. Das hält die Karre äußerlich am laufen, bringt aber die zweite Gefahr der Hauptamtlichkeit mit sich: die einseitige Prägung der Gemeinschaft. Denn er weiß mehr und kann mehr als der durchschnittliche Mitbruder, aber er hat nicht mehr von Gott empfangen und deshalb auch nicht mehr Substanz mitzuteilen.
Wie gesagt, die zweite Gefahr besteht in der einseitigen Prägung einer Herausgerufenen, die Christus dann nicht mehr vollständig darstellen kann. Erinnern wir uns: Die Glaubenshelden des Alten Bundes ? Mose, Elia, David z. B. ? stellen einzelne Züge des Christus dar. Sie sind gekommen, um vorab einen Schatten zu werfen vom Kommen des Christus. Sie alle haben Verfehlungen begangen, die uns oft auch ausführlich beschrieben werden. Keiner war vollkommen, aber in ihrer Gesamtheit haben sie schon vieles dargestellt, was im Christus in Vollkommenheit zu sehen ist. Sie sollten dem Volk des Alten Bundes dadurch eine Hilfe sein, den Christus bei seinem Kommen zu erkennen. Nachdem der Vater nun in dem Christus selbst alle Weisheit und Erkenntnis vollständig vereinigt hatte (Kol. 2, 3), ist es jetzt der Heilige Geist, der diese Gesamtheit des Ratschlusses Gottes auf der Erde darstellt ? durch die Herausgerufene. Da aber der einzelne Christ ? ebenso wie die alttestamentlichen Glaubensväter ? nicht fähig ist, diese gesamte Fülle darzustellen, hat Gott beschlossen, diese auf die Bruderschaft aufzuteilen. Wie im Alten Bund gibt es jetzt wieder keinen auf der Erde lebenden Menschen, in dem die ganze Fülle vollständig zu sehen wäre. Der Unterschied ist aber folgender: Während im Alten Bund das Gesamtbild des Christus nur auf viele Generationen verteilt zu erahnen war, ist es jetzt zeitgleich zu sehen: Nicht in einer Einzelperson, aber in der Herausgerufenen, in der Gesamtheit der jetzt lebenden Bruderschaft. Wir können dies im ersten Korintherbrief nachlesen, und in der Theorie wissen die meisten, was es mit dem Funktionieren der vielen Glieder an dem einen Leib des Christus auf sich hat.
Die Praxis aber sieht finster aus, weil wir uns kaum bewußt sind, daß der Zweck unseres Hierseins ist, gemeinschaftlich den Christus darzustellen. Denn was passiert nun mit unserem armen Hauptamtlichen, der ? unabhängig von der Art seiner Gabe ? zumeist als Pastor bezeichnet wird und, wie alle anderen, einen Teil der göttlichen Dienstgaben erhalten hat? Vielleicht hat er wirklich eine pastorale, also eine Hirtenbegabung. Vielleicht aber auch eine Lehr- oder prophetische Begabung oder eine evangelistische. Manchmal wird er mehrere Gaben in sich vereinigen können, niemals jedoch die ganze Fülle, die notwendig ist, »daß wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des Vollwuchses der Vervollständigung des Christus; auf daß wir nicht mehr Unmündige seien, hin und her geworfen von jedem Winde der Lehre?« (Eph. 4, 13f). Lesen wir die Verse 11 bis 16 im Zusammenhang, so sehen wir, daß alles, was die Herausgerufene heute vermissen läßt ? Einheit, Mündigkeit, Beständigkeit gegen von außen kommende Lehren, Wachstum und unmittelbare Verbindung zum Haupt ? notwendig verbunden ist mit dem Vorhandensein der Vielfalt der Dienstgaben. Was geschieht, wenn stattdessen ein einzelner Bruder die Gruppe leitet? Er prägt ? ob er will oder nicht ? die ganze Versammlung in Richtung seiner Einzelbegabung. So haben wir missionarisch gesinnte Versammlungen mit einem unterdurchschnittlichen Niveau der Unterweisung, andererseits Versammlungen, die zwar mit den feinsten Verästelungen theologischer Finessen vertraut sind, aber keinerlei Wirksamkeit nach außen hin entfalten. Vermeidbar ist dies nur, wenn die unterschiedlichen Begabungen gleichwertig nebeneinander zur Wirksamkeit kommen, wenn die Träger dieser Begabungen, einander brüderlich »nebengeordnet«, sich ergänzen.
Die dritte Gefahr ist die Vermehrung der Spaltung der Herausgerufenen. Gegenüber einem (hauptamtlichen) Freund habe ich einmal geäußert, daß das Maß der denominationellen Aufspaltung des Leibes Christi an einem Ort proportional wäre zur Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter. Natürlich ist das keine mathematische Formel, aber der Zusammenhang ist tatsächlich. Soweit ich die Hausgemeindebewegung der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland selbst kenne, ist einer der Hauptgründe für ihre Lähmung die Entwicklung hin zu Pastoralgemeinden. Christen scharen sich um eine charismatische Leiterpersönlichkeit und nennen das dann neutestamentliche Gemeinde. In einem Fall war ich Zeuge, wie einer dieser Leiter seine Schäfchen ein persönliches Treuegelöbnis auf seine Person hat sprechen lassen! Es gibt ? und das ganz besonders in Gruppen, die von einem solchen absoluten Leiter geführt werden ? eine Tendenz zum Besitzdenken: Der Pastor spricht von seinen Gemeindemitgliedern, diese sprechen von ihrer Gemeinde und ihrem Pastor, und das nicht nur in einer Art die meint: Das sind die Geschwister, mit denen ich gewöhnlich zusammenkomme, sondern in wirklich abgrenzender Art. Ich habe einen Pastor gehört, der von seinen Gemeindegliedern verlangt hat, sie sollten in der Art von ihrer Gemeinde und ihrem Pastor sprechen, wie er auch von seiner Frau spricht. Dies ist aber überhaupt nicht vergleichbar. Mit seiner Ehefrau verbindet ihn ein Bund, ebenso wie uns mit Christus ein Bund verbindet. Das Verhältnis unter Brüdern in Christus ist anderer Art. Die einzelnen Glieder am Leib des Christus sind nur über das Haupt miteinander verbunden, durchaus nicht durch persönliche Sympathie (2. Kor. 5, 16f). Dieser Pastor war nun dabei, seine Schafe persönlich an sich zu binden. Dazu hat er kein Recht. Ein vorbildlicher Hirte sollte stets bereit sein, vom Haupt durch einen anderen guten Hirten ersetzt zu werden. Er hirtet die Herde ja nicht für sich selbst, sondern nur stellvertretend für den guten Hirten aller Schafe. Bindet er die Herde an sich persönlich, so stiehlt er seinem Auftraggeber die Schafe.
Wenn heute im geistlichen Bereich von Schafdiebstahl gesprochen wird, so ist meist gemeint, daß die einzelnen Denominationen einander Mitglieder abspenstig machen. Das ist Unsinn. Der eigentliche Schafdiebstahl besteht darin, daß sogenannte Hirten die Herde an sich selbst binden statt an den Christus ? und dadurch Gott bestehlen. Diese Hirten werden dadurch zu Priestern im katholischen Sinne: Mittler zwischen Haupt und Gliedern. Die Schrift (1.Tim. 2, 5) belehrt uns aber, daß es, wie es nur einen Gott gibt, auch nur einen Mittler zwischen Gott und Menschen gibt: Christus. Nachdem Christus die Schafe gestohlen werden, wird ihm durch solche falsche Priesterschaft auch noch seine einzigartige Position streitig gemacht. Wer aber innerhalb des Königreiches Gottes seine eigenen Fürstentümer abgrenzt, begeht Hochverrat und wird auch dafür zur Verantwortung gezogen werden. Kein König, der den Fortbestand seines Reiches sichern will, kann so etwas dulden. Jede Denomination aber ist ein Privatfürstentum innerhalb des Reiches Gottes. In Apg. 20, 29f kennzeichnet Paulus diejenigen, die die Herde, die ja dem guten Hirten nachfolgen sollte, um sich selbst scharen und an sich selbst binden, als die Wölfe, welche die Herausgerufene verderben: »? schwere Wölfe ? nicht verschonende das Herdlein ? daß sie die Lernenden wegzerren hinter sich selber her.«
Dies ist vergleichbar der Situation, die Jesus im Gleichnis vom Weinberg beschreibt, dessen Verwalter diesen unrechtmäßig an sich zu bringen suchen, während der Herr des Weinberges außer Landes weilt (Matthäus 21, 33ff; auch Markus 12; Lukas 9). In diesem Gleichnis spricht Jesus über solche, die das, was Gott gehört, für sich selbst beanspruchen. Dieses Gleichnis ist eine prophetische Unterweisung. Unterweisung deshalb, weil es uns über richtiges und falsches Verhalten belehrt; Prophetie deshalb, weil es künftiges Gericht warnend ankündigt. Warum hören wir über dieses wichtige Gleichnis keine Predigt, die uns zeigt, daß wir gemeint sind? In einer Zeitebene ist diese Prophetie bereits erfüllt. Ganz offensichtlich ist mit dem Gleichnis das damalige Israel angesprochen, das erst die Propheten verfolgt und schließlich den Christus umbringen läßt, was schließlich zum Gericht der Vernichtung des Tempels und der Zerstreuung unter die Nationen im ersten Jahrhundert nach Christus geführt hat. Der Weinberg wurde neuen Pächtern verpachtet (Vers 41). Der geistliche Schwerpunkt der Menschheitsgeschichte ist versetzt worden: Weg vom Alten Bund, hin zum Neuen; weg vom irdischen Jerusalem, hin zum himmlischen. Wenn man aber die dem Gleichnis innewohnende Prophetie mit dieser offensichtlichen Erfüllung damit als abgeschlossen betrachtet, übersieht man, daß sich die Gegebenheiten des Gleichnisses in der Zeitebene des Neuen Bundes wiederholen: Auch die neuen Pächter gebärden sich als Eigentümer des Weinberges. Statt dem Eigner die schuldige Frucht abzuliefern, haben sie den Weinberg nach ihren Vorstellungen umgebaut und aufgeteilt. Wenn wir uns die Herausgerufene ansehen, wie sie im Neuen Testament beschrieben wird, und sie mit der heutigen durchschnittlichen Gemeindewirklichkeit vergleichen, werden wir feststellen, daß der Weinberg nicht mehr wiederzuerkennen ist. Darüber werden wir Rechenschaft geben müssen. Auch wir sind nur Pächter, nicht Eigner.
Auch Jesus hat die Gefahr der Spaltung der Herausgerufenen durch das Prinzip hauptamtlicher Leiterschaft beschrieben (Joh. 10, 11 ? 13): »?Der ideale Hirte gibt sein Leben für die Schafe, aber der Lohnarbeiter und nicht Hirte-Seiende, dem die Schafe nicht zu eigen sind, schaut den kommenden Wolf und läßt die Schafe und flieht ? und der Wolf raubt und verstreut sie ? da er Lohnarbeiter ist und er, ja er sich nicht kümmert betreffs der Schafe.« Jesus vergleicht hier zwei unvereinbare Prinzipien: Der ideale Hirte ist Eigner der Herde, weil er sein Leben für sie dahingibt. Wer also im neuen Bund Hirte sein will, der kann dies nicht durch theologische Ausbildung und Anstellung erlangen, sondern nur, indem er Anteil nimmt an dem Holz, das den Christus zu Tode gebracht hat und auch ihn selbst zu Tode bringen muß. Soweit, wie er dem Christus in Tod und Auferstehung gleichgestaltet ist, wird er auch in Christus (aber gerade nicht als Eigenperson!) Miteigner der Herde. Wer zu Tode gekommen ist, fragt freilich nicht mehr nach Lohn. Die Lohnfrage ist Bestandteil eines gegenläufigen Prinzips, das nicht zum Reich Gottes, sondern zum Bereich der Welt gehört. Jesus stellt nun eine ausdrückliche Kausalität her zwischen dem Lohnprinzip und der Zerstreuung der Schafe. Die Kirchengeschichte und die heutige Gemeindewirklichkeit liefern uns den nachträglichen Beweis: Der Glaube an weltliche Leiterschaftsprinzipien hat zu einer völligen Zersplitterung der Herausgerufenen geführt: Der Wolf hat geraubt und zerstreut.
Das Bild des Hüters, der kein idealer Hirte, sondern ein Lohnarbeiter ist, finden wir schon mehrfach im Alten Bund. So finden wir Klage über die Ältesten und Priester, von denen gesagt wird, daß sie Jahweh betrogen haben, indem sie Speise für sich selbst suchten (Klgl. 1, 19). Wären sie treu gewesen, hätten sie wohl zuerst die ihnen anvertraute Herde versorgt. Auch im Buch Nehemiah finden wir sehr deutliche Hinweise auf Statthalter, Vornehme und Präfekten, die zuerst sich selbst versorgten, gar Teile des Volkes durch ihren Wucher in den Ruin trieben. Dabei war durchaus auch im Alten Bund das Hassen des Sich-Bevorteilens Voraussetzung für ein Amt (2. M. 18, 21). Es ist Teil des geistlichen Aufbruchs beim Aufbau Jerusalems, daß diese Ältesten von Nehemiah zum Umdenken geführt werden und dem verarmten Volk die Schuld erlassen. Sie hatten sicher gemeint, daß sie ihren Besitz redlich und gesetzeskonform erworben hätten, aber im Licht des Wortes sind sie doch als Räuber überführt worden. Nehemiah wird durch die Furcht des Herrn, die ja Anfang aller Weisheit ist, so geführt, daß er nicht das Brot des Volkes ißt, obwohl er als Statthalter das Recht dazu gehabt hätte (Neh. 5). So wird er zu einem Vorbild für Paulus.
Auch Paulus verzichtet auf das Recht der Versorgung, das ihm nach dem Prinzip des Gesetzes ? das da sagt, daß dem dreschenden Rind kein Maulkorb anzulegen sei ? zustehen würde, damit er dem Evangelium des Christus kein Hindernis sei, ja er würde lieber sterben als dies anders zu handhaben. Die Beweggründe dieser Entscheidung legt er in 1. Kor. 9, 8 ? 18 dar. Vers 14 wird dabei häufig falsch verstanden, wenn nicht gar schon falsch übersetzt: »Also auch ordnet der Herr durchdringlich den die Wohlkunde herabkündenden an, aus der Wohlkunde zu leben.« Das Wort »aus der Wohlkunde (dem Evangelium)« heißt also gerade nicht »von der Wohlkunde« sondern »in Übereinstimmung mit und gemäß den Grundsätzen der Wohlkunde«, also nicht nach dem Marktprinzip des Tauschs von Leistung gegen Lohn, sondern nach dem Prinzip der Gnade und des Geistes. Wir haben schon im 2. Thessalonicherbrief gelesen, daß Paulus hierin ausdrücklich nachgeahmt werden will. Auch in 1. Kor. 9 betont er mit scharfen Worten, warum die Freiheit, die ihm das Gesetz einräumen würde, keinesfalls im Neuen Bund Gebrauch finden darf: »um nicht Anlaß zu geben für das Heraushauen der Wohlkunde [des Evangeliums]« (Vers 12 lt. C. Sinaiticus). Dieses »Heraushauen« bedeutet ein beseitigen der Wurzel mit der Axt. Diese Gefahr sieht Paulus für das Evangelium, wenn das Prinzip des Tauschs von Ware gegen Geld hier Verbreitung findet. Die Kirchengeschichte hat bewiesen, wie recht er mit seinen Befürchtungen hatte.
Außer Nehemiah hat Paulus in den Schriften des Alten Bundes weitere Vorbilder gefunden, die ihn in seiner strikten Ansicht bestärkt haben mögen: So lesen wir, daß Elischa, nachdem durch seinen Dienst der aramäische Fürst Naeman vom Aussatz gereinigt wurde, von diesem keinen Lohn annehmen wollte, obwohl dieser ihn außerordentlich dazu drängte: »Bei Jahweh, dem Lebenden, angesichts dessen ich stehe: Wehe, wenn ich etwas nehme!« Naeman war wohl von seiner Krankheit genesen und hatte auch akzeptiert, daß es außer Jahweh keinen Gott gibt, aber natürlich hatte er noch keine Gelegenheit, das Wesen Gottes kennenzulernen, wie wir an seinem weiteren Verhalten sehen können. Er war ein geistlich Neugeborener, und es war Elischa bewußt, daß er diesem jungen geistlichen Leben schaden würde, wenn der Eindruck entstünde, daß Naeman für den Segen Gottes, der ihn durch Elischa erreicht hatte, eine Gegenleistung erbringen könnte. So schafft Elischa eine Abgrenzung zu den Priestern der falschen Götter, die für jede kultische Handlung die Hand aufhalten. Naeman, der sicherlich in seiner Heimat all die verfügbaren Götzen um Heilung angerufen haben wird, bevor er sich nach Israel aufmachte, wird diesen Unterschied ohne Zweifel bemerkt haben. Daß man die wesentlichen Dinge nicht für Geld kaufen kann, war für den ehemaligen Zauberer Simon eine der ersten Lektionen seines geistlichen Lebens (Apg.8,9ff). Und auch Naeman wird sofort über diese Basiswahrheit belehrt.
Auch die andere Stelle des Neuen Testaments, die von dem dreschenden Ochsen spricht (1. Tim. 5, 9 ? 21), müssen wir in ihrem unmittelbaren Textzusammenhang sehen. Hier spricht Paulus von der Verteilung der Unterhaltszahlungen für nicht (mehr) arbeitsfähige Glieder wie z. B. Witwen. Da die Herausgerufene für diese zu sorgen hatte, mußten auch Festlegungen getroffen werden, wer zu berücksichtigen sei und in welchem Maß. In diesem Zusammenhang sagt Paulus, daß die Vorsteher doppelter Ehre gewürdigt werden sollen. Es geht hier also keineswegs um Lohnzahlungen für die Vorsteher, sondern bei der Verteilung der »Pensionsgelder« um eine bevorrechtigte Behandlung für diejenigen Brüder, die sich in der Lebensspanne ihrer Arbeitsfähigkeit neben einer Erwerbstätigkeit obendrein um Wort und Lehre gemüht haben.
Eine irreführende Übersetzung von 1. Tim. 6, 6 nach Schlachter ist schon in Stellung gebracht worden, um wenigstens moderate Pastorengehälter zu rechtfertigen: »Es ist allerdings die Gottseligkeit eine bedeutende Erwerbsquelle, wenn sie mit Genügsamkeit verbunden wird.« Abgesehen davon, daß Schlachter mit dieser Übertragung des Verses recht isoliert dasteht, muß auch dieser Vers im Textzusammenhang der vorhergehenden Verse gesehen werden, sonst könnte wirklich noch jemand denken, der Vers sei als Ermutigung oder Legitimation zu sehen, aus dem »Wohlehren« (eusebia) »Kapital« (poriamos) zu schlagen, und wenn auch mit Genügsamkeit.
Ab Vers 1 werden Anweisungen zum verantwortlichen Wandel im Geist gegeben und vor Irrungen gewarnt, im Vers 5 dann wird der Gedanke, daß das Wohlehren (Frömmigkeit, Gottseligkeit) ein Kapital (Handelsware, Erwerbsquelle) sei, sozusagen als der Gipfel der Irrwege dargestellt ? als »ein Durchlaufen von Nebenstraßen (Irrwegen) des Denkens durchverderbtwordener Menschen, die betreffs der Wahrheit benachteiligt wurden«. Nach diesem groben Hammer, der den Gedanken, daß Frömmigkeit ein Erwerb sei, so scharf verurteilt, kann man Vers 6 nicht einfach so verstehen, als würde da stehen: Na ja, geht schon, wenn Ihr es nicht übertreibt. Tatsächlich wendet Paulus ab Vers 6 dieses Begriffspaar Eusebia / Poriamos vom Gegenständlichen ins Geistliche und weist auf das »geistliche Kapital« hin, das wir mit dem Wohlehren erwerben. Deswegen auch in Vers 7 der Hinweis auf das, was keinen Bestand hat (als Parallele zu 2. Kor. 4, 18: »das Sichtbare ich zeitlich, aber das Unsichtbare aber äonisch«) und ab Vers 8 dann allgemeine Warnungen, reich werden zu wollen, da dies vom in Vers 6 dargestellten »geistlichen Schatz« ablenkt und in verschiedenartige Abwege und Verirrungen führt.
Die vierte Gefahr der Hauptamtlichkeit besteht in der Verführung der Versammlung überhaupt. Besonders diese Gefahr besteht ebenso dort, wo eine Versammlung auf einen Einzelleiter fixiert ist, auch wenn dieser nicht vollzeitlich beschäftigt ist. Sehen wir hierzu ins alte Testament: Die von Gott gesetzten Strukturen erschienen den Israeliten unzureichend: Sie wollten einen König, der vor ihnen herziehe. Dabei haben sie völlig übersehen, daß sie diesen König bereits hatten: Gott selbst wollte ihnen vorangehen, sofern sie in seinen Wegen blieben. Aber sie wollten doch eine greifbare Lösung ? (1.Sam. 8, 19f): »Und das Volk weigerte sich, auf die Stimme Samuels zu hören; und sie sprachen: ?Nein, sondern ein König soll über uns sein, damit auch wir seien wie alle Nationen, und daß unser König uns richte und vor uns her ausziehe und unsere Kriege führe.?« Gott nimmt dieses Ansinnen persönlich: 1. Sam. 8, 7: »Und Jahweh sprach zu Samuel: Höre auf die Stimme des Volkes in allem, was sie dir sagen; denn nicht Dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen, daß ich nicht König über sie sein soll.« Was folgt, ist eine lange Geschichte des Wechsels zwischen Abfall und notdürftiger Wiederherstellung, die wir in den Büchern der Könige und der Chronik in fast ermüdendem Wechsel immer und immer wieder nachlesen können: Gefiel es dem König, in Gottes Wegen zu wandeln, betrug sich auch das Volk leidlich; neigte er dem Götzendienst zu, verfiel auch die Mehrheit des Volkes den Götzen. Diese traurigen Prinzipien wirken auch in der neutestamentlichen Gemeinde. Der Wunsch nach einem Frontmann, der vor dem Volk steht »wie bei den Nationen« ist ungebrochen, ob dieser nun König oder Pastor heißt.
Und auch die Auswirkungen sind die gleichen: Wenn der Präceptor z.B. einer Irrlehre erliegt, wird er den größten Teil der Versammlung damit anstecken, weil die Möglichkeit der Korrektur durch seine Mitbrüder weitestgehend ausgehebelt ist. Auch die pastoralen Netzwerke, die die Hauptamtlichen untereinander verbinden und den Korrekturmangel korrigieren sollen, schaffen hier keine Abhilfe: Häufig sind sie überregional (was nebenher die Verkirchlichung fördert), aber auch das regional begrenzte Pastorenfrühstück kann diese Aufgabe nicht wahrnehmen. Nur eine Brüderschaft, die gemeinsam und gleichberechtigt einer Versammlung vorsteht, kann sich gegenseitig zurechtweisen.
So richtig finster wird es jedoch dann, wenn die Obersten neben ihrem Gehalt auch noch eine besondere Mittlerposition zwischen Gott und ihren Schafen, einen Priesterstatus also, beanspruchen: Dann ist der neutestamentliche Boden endgültig verlassen und wir müssen von Sektiererei sprechen. Wer sich in diesem Sinne als Priester versteht, wird zum Anti-Christos, zu einem Anstatt-Christus, denn er beansprucht eine Position, die Christus bereits ausfüllt. Daß diese Anti-Christoi in großer Menge auftreten, davor warnt uns schon der Apostel Johannes (1. Joh. 2, 18)
Umgekehrt kann auch die Versammlung für den hauptamtlichen Leiter zum Fallstrick werden: Denken wir uns einen angestellten Pastor in einer Volkskirche, der z. B. eine biblische Tauflehre vertreten wollte; vielleicht ist er verantwortlich für eine Familie, hat eine Dienstwohnung, aber keinen bürgerlichen Beruf, und ist mit seiner ganzen wirtschaftlichen Existenz an seine Kirche gebunden. Wenn er jetzt eine Wahrheit lehren will, die in seiner Kirche nicht akzeptiert wird, verliert er vielleicht alles: Einkommen, Dienstwohnung, soziale Anerkennung. Wieviele Brüder sind in einer solchen Situation bereit, alles hinter sich zurückzulassen? Wieviele Wahrheiten haben die Kirchen schon erwürgt, indem sie ihre Diener durch Anstellung erpreßbar halten? Dieses Beispiel ist ja leicht nachvollziehbar und gehört leider zum kirchlichen Alltag, aber das Grundprinzip »Wes? Brot ich eß, des? Lied ich sing.« wirkt auch in sog. freien Gemeinden. 2.Tim. 4, 3 belehrt uns: »Denn es wird eine Frist sein, alsdann werden sie die gesundseiende Belehrung nicht ertragen, sondern gemäß den eigenen Begierden werden sie sich selbst Lehrer aufladen, als durch sie das Gehör kitzelnde?«.
Auch stellt sich, wenn ein bezahlter Prediger das Wort ergreift, immer die Frage: Redet er, weil der Heilige Geist ihn treibt, oder weil er jetzt seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommt?
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich sage nicht, daß es in der Herausgerufenen keine Unterstützung für den Lebensunterhalt dienender Brüder geben könne. Ich sage nur, daß dies eher die Ausnahme ist. Die schriftwidrige Art des christlichen Funktionärstums, die sich in der Vergangenheit herausgebildet hat, ist die Basis ist für »pastorenkirchliche« Strukturen. Und es ist ein durchaus unanständiger Gedanke, daß Evangelist, Hirte, Lehrer, Apostel oder Prophet Berufswünsche beziehungsweise Karriereziele wären wie Immobilienmakler oder Gebrauchtwagenverkäufer. Dort, wo junge Menschen von der Schule weg und ohne jahrelange treue Bewährung im Beruf auf Seminaren und Bibelschulen ausgebildet weden mit der Zielsetzung, hernach in den »vollzeitlichen Dienst zu gehen«, können wir eine Verirrung annehmen, weil dies nicht der Alltagsverankerung des Evangeliums, wie wir sie in der Schrift finden, entspricht.
Der Eröffnungseintrag ist mal wieder etwas größer geraten, aber das scheint mir nötig, um ein Mindestmaß an Zusammenhang zwischen den einzelnen biblischen Aussagen darstellen zu können:
Paulus hatte gute Gründe, neben seinem apostolischen Dienst einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Indem er niemanden finanziell belastete, war er unangreifbar. Ihm unlautere Motive für seinen Dienst zu unterstellen, wäre so selbst für einen böswilligen Zeitgenossen schwierig gewesen. »Denn Ihr selber gewahret, wie es bindend ist, uns nachzuahmen, da wir uns nicht unordentlich inmitten von Euch verhielten, aber auch nicht geschenkweise seitens jemandes Brot aßen, sondern in Ermüdung und Anstrengung nachts und tags Wirkende waren, um nicht jemand von Euch zu beschweren; nicht, daß wir nicht Autorität haben, sondern, auf daß wir uns selber Euch als Typus (Vorbild) geben zum Uns-Nachahmen.« (2. Thess. 3, 7ff) Daß der Arbeiter grundsätzlich seines Lohnes wert ist, daß man dem dreschenden Ochsen nicht das Maul verbinden soll, bleibt unbestritten. Hier ist aber sorgfältig zu unterscheiden zwischen Erwerbsarbeit im bürgerlichen Sinne und Arbeit im Bereich der Regentschaft Gottes. Wer sich von Gott gebrauchen läßt, um Gottes Werke zu tun, sät geistlich; seine Ernte kann also auch nur geistlich sein. Das heißt, er erhält Lohn von Gott, sei es in diesem oder dem nächsten Zeitalter. Wer aber einen direkten Lohnanspruch aus seiner Tätigkeit ableitet, bringt damit zum Ausdruck, daß diese Tätigkeit zum Bereich dieser Welt gehört. Deswegen schreibt Paulus, daß es bindend ist, ihn hierin nachzuahmen, auch daß sein Mühen um eigenen Broterwerb kein Zeichen mangelnder geistlicher Autorität ist, sondern im Gegenteil Vorbildcharakter hat. Er stellt den gegenteiligen Dienstentwurf (nämlich »geschenkweise jemandes Brot zu essen«) sogar sehr direkt als »unordentlichen Wandel« dar und weist an, sich von jedem Bruder abzusondern, der seinem Vorbild in dieser Frage nicht folgt!
Wer eine geistliche Botschaft von Gott empfangen hat, sollte im Regelfall die wirtschaftlichen Mittel, die zur Verbreitung dieser Botschaft notwendig sind, nicht den Adressaten dieser Botschaft aufladen, sondern selbst von Gott empfangen und dann zur Verfügung stellen. Dies stellt natürlich nicht nur das Pastorenkirchentum in Frage, sondern auch den ganzen »christlichen« Buch- und Musikmarkt. Dieser könnte freilich erheblich an Übersichtlichkeit und Tiefe gewinnen, wenn dieses Prinzip berücksichtigt würde. Christliche Verkündigung darf nie Marktgesetzen unterworfen werden.
Schauen wir uns in diesem Zusammenhang Kol. 3, 23f an: »Das, was Ihr tut, aus der Seele wirket es, als dem Herrn und nicht den Menschen, als Gewahrende, daß Ihr vom Herrn davonnehmen werdet das Vergelten (den Lohn) des gesetzgemäßen Losteiles (Erbes); dem Herrn Christos sklavet (dienet).« Wir sehen folgendes: Auftraggeber und Empfänger unseres Dienstes ist Christus, daher kommt auch von ihm unser Lohn. Dies betrifft sowohl unseren Lohn in diesem Zeitalter als auch im künftigen: Mk. 10, 29f belehrt uns darüber, daß Gott sich für beides zuständig erklärt hat. Wir können aber die Hand nicht zweimal aufhalten und Lohn sowohl von Gott als auch von denen erwarten, die wir geistlich versorgen. Hier können wir analog das anwenden, was in Matthäus 6 über Ehre gesagt wird: Wenn wir für unser Wohltun Ehre von Menschen erwarten, werden wir diese vielleicht erhalten, unser Lohn ist aber damit abgegolten; von Gott haben wir darüberhinaus nichts zu erwarten. Was hier über Ehre und Anerkennung gesagt ist, können wir entsprechend auch auf materielle Güter beziehen, zumindest, soweit es unseren geistlichen Dienst betrifft.
Nun gibt es sicherlich Situationen, wo Brüder zur Ausübung ihres Dienstes auf finanzielle Unterstützung anderer angewiesen sind, diese werden aber in aller Regel zeitlich begrenzt sein. Wenn zum Beispiel jemand einen evangelistischen bzw. apostolischen Dienst in einem fremden Land tut, wo er, vielleicht aufgrund fehlender Arbeitserlaubnis, gar keine Möglichkeit hat, seinen Unterhalt selbst zu bestreiten, so ist es sicher besser, wenn er von der Unterstützung anderer Geschwister lebt, als daß sein Dienst ungetan bliebe. In diesem Falle kann man nicht davon sprechen, daß er das Wort Gottes gegen Lohn austeilen würde, nimmt er doch seinen Unterhalt nicht von den Adressaten seiner Verkündigung, sondern von denen, die ihn senden, und die er gleichsam vertritt. Er ist als Teil der sendenden Gemeinschaft anzusehen, die damit insgesamt als Verkündiger auftritt und deshalb auch insgesamt die Last des Dienstes trägt. Diejenigen, an die sich seine Verkündigung richtet, bleiben unbelastet.
Grundsätzlich gilt: Was wir umsonst empfangen haben, sollen wir auch umsonst weitergeben (Mt. 10, 7f). Erinnern wir uns: Diejenigen, die ihren Glauben zur Basis ihres Lebensunterhalts gemacht haben, hat Jesus aus dem Tempel gepeitscht (Joh. 2, 15).
Die potentiellen Gefahren der Hauptamtlichkeit, von denen ich einige nachfolgend beschreibe, überwiegen jedenfalls meist den möglichen Nutzen. Natürlich muß nicht jede dieser Gefahren in jedem einzelnen Fall wirksam werden. Natürlich entfalten sich einige dieser Gefahren genauso auch bei nicht fest angestellten Leitern. Allerdings ist ihre Wirksamkeit so regelmäßig zu beobachten, daß wir uns eine nähere Betrachtung dieses Gefährdungspotentials nicht ersparen dürfen:
Die erste Gefahr besteht in der Klerikalisierung. Je professioneller das System der Hauptamtlichkeit betrieben wird, desto mehr wird die Herausgerufene in »Kleriker« und »Schafe« gespalten. Am Ende haben wir einen weltlichen, bestenfalls alttestamentlichen Dienstleistungsbetrieb, in dem die Wenigen gegen Entgelt für die Erbauung der Vielen ackern. Umgekehrt bedeutet dies aber, daß die »Schafe« wenig Veranlassung haben, geistlich aktiv zu werden und der Gemeinschaft mitzuteilen, was ihnen von Gott gegeben wurde. Das Wachstum dieser quasi arbeitslos gewordenen Brüder und damit das der Gesamtheit stagniert. Viele Gaben verkümmern, weil sie einfach nicht abgerufen werden ? die »geistliche Grundversorgung« der Versammlung ist ja durch den Profi gewährleistet. Der Begriff »geistliche Grundversorgung« riecht natürlich förmlich nach Sozialamt und Armenspeisung; genau das bedeutet er aber auch: Ein armseliger Ersatz für die von Gott vorgesehene Fülle, die eine bruderschaftliche Leitung erst ermöglichen würde. Die von Gott gesetzte Ordnung, derzufolge das Leben der Herausgerufenen von der Gesamtheit der Mündigen getragen wird, ist unwirksam gemacht.
Das pastorenkirchliche Gemeindeverständnis, demzufolge eine Gemeinde von einem Pastor geleitet wird, hat die Funktion des Hirtendienstes in ihr Gegenteil verkehrt: Während es die Aufgabe eines Hirten wäre, die Begabungen der einzelnen Glieder zu stärken und ihnen zu helfen, ihren von Gott verordneten Platz zu finden und auszufüllen, zieht der Pastor einen unverhältnismäßig hohen Teil des Dienstes an sich selbst. Dabei wird er meist gern zugeben, daß ihm diese Last zu groß ist und daß er sich mehr Entlastung durch die anderen Glieder wünschen würde, aber die pastorenkirchliche Struktur steht dem entgegen und natürlich auch der gesunde Menschenverstand: Wer möchte schon eine Arbeit selbst tun müssen, für deren Erledigung er bereits jemanden bezahlt hat?
Für den Hauptamtlichen bedeutet dies, daß er über sein Vermögen gefordert wird. Er hat ? in aller Regel ? von Gott nicht mehr an geistlicher Begabung erhalten als seine Mitbrüder. Trotzdem soll er ständig predigen, lehren, versorgen. Das aus dieser Konstellation folgende Defizit versucht er durch das größere Wissen und die bessere Methodik seiner theologischen, heutzutage oft sogar psychologischen Ausbildung auszugleichen. Das hält die Karre äußerlich am laufen, bringt aber die zweite Gefahr der Hauptamtlichkeit mit sich: die einseitige Prägung der Gemeinschaft. Denn er weiß mehr und kann mehr als der durchschnittliche Mitbruder, aber er hat nicht mehr von Gott empfangen und deshalb auch nicht mehr Substanz mitzuteilen.
Wie gesagt, die zweite Gefahr besteht in der einseitigen Prägung einer Herausgerufenen, die Christus dann nicht mehr vollständig darstellen kann. Erinnern wir uns: Die Glaubenshelden des Alten Bundes ? Mose, Elia, David z. B. ? stellen einzelne Züge des Christus dar. Sie sind gekommen, um vorab einen Schatten zu werfen vom Kommen des Christus. Sie alle haben Verfehlungen begangen, die uns oft auch ausführlich beschrieben werden. Keiner war vollkommen, aber in ihrer Gesamtheit haben sie schon vieles dargestellt, was im Christus in Vollkommenheit zu sehen ist. Sie sollten dem Volk des Alten Bundes dadurch eine Hilfe sein, den Christus bei seinem Kommen zu erkennen. Nachdem der Vater nun in dem Christus selbst alle Weisheit und Erkenntnis vollständig vereinigt hatte (Kol. 2, 3), ist es jetzt der Heilige Geist, der diese Gesamtheit des Ratschlusses Gottes auf der Erde darstellt ? durch die Herausgerufene. Da aber der einzelne Christ ? ebenso wie die alttestamentlichen Glaubensväter ? nicht fähig ist, diese gesamte Fülle darzustellen, hat Gott beschlossen, diese auf die Bruderschaft aufzuteilen. Wie im Alten Bund gibt es jetzt wieder keinen auf der Erde lebenden Menschen, in dem die ganze Fülle vollständig zu sehen wäre. Der Unterschied ist aber folgender: Während im Alten Bund das Gesamtbild des Christus nur auf viele Generationen verteilt zu erahnen war, ist es jetzt zeitgleich zu sehen: Nicht in einer Einzelperson, aber in der Herausgerufenen, in der Gesamtheit der jetzt lebenden Bruderschaft. Wir können dies im ersten Korintherbrief nachlesen, und in der Theorie wissen die meisten, was es mit dem Funktionieren der vielen Glieder an dem einen Leib des Christus auf sich hat.
Die Praxis aber sieht finster aus, weil wir uns kaum bewußt sind, daß der Zweck unseres Hierseins ist, gemeinschaftlich den Christus darzustellen. Denn was passiert nun mit unserem armen Hauptamtlichen, der ? unabhängig von der Art seiner Gabe ? zumeist als Pastor bezeichnet wird und, wie alle anderen, einen Teil der göttlichen Dienstgaben erhalten hat? Vielleicht hat er wirklich eine pastorale, also eine Hirtenbegabung. Vielleicht aber auch eine Lehr- oder prophetische Begabung oder eine evangelistische. Manchmal wird er mehrere Gaben in sich vereinigen können, niemals jedoch die ganze Fülle, die notwendig ist, »daß wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des Vollwuchses der Vervollständigung des Christus; auf daß wir nicht mehr Unmündige seien, hin und her geworfen von jedem Winde der Lehre?« (Eph. 4, 13f). Lesen wir die Verse 11 bis 16 im Zusammenhang, so sehen wir, daß alles, was die Herausgerufene heute vermissen läßt ? Einheit, Mündigkeit, Beständigkeit gegen von außen kommende Lehren, Wachstum und unmittelbare Verbindung zum Haupt ? notwendig verbunden ist mit dem Vorhandensein der Vielfalt der Dienstgaben. Was geschieht, wenn stattdessen ein einzelner Bruder die Gruppe leitet? Er prägt ? ob er will oder nicht ? die ganze Versammlung in Richtung seiner Einzelbegabung. So haben wir missionarisch gesinnte Versammlungen mit einem unterdurchschnittlichen Niveau der Unterweisung, andererseits Versammlungen, die zwar mit den feinsten Verästelungen theologischer Finessen vertraut sind, aber keinerlei Wirksamkeit nach außen hin entfalten. Vermeidbar ist dies nur, wenn die unterschiedlichen Begabungen gleichwertig nebeneinander zur Wirksamkeit kommen, wenn die Träger dieser Begabungen, einander brüderlich »nebengeordnet«, sich ergänzen.
Die dritte Gefahr ist die Vermehrung der Spaltung der Herausgerufenen. Gegenüber einem (hauptamtlichen) Freund habe ich einmal geäußert, daß das Maß der denominationellen Aufspaltung des Leibes Christi an einem Ort proportional wäre zur Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter. Natürlich ist das keine mathematische Formel, aber der Zusammenhang ist tatsächlich. Soweit ich die Hausgemeindebewegung der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland selbst kenne, ist einer der Hauptgründe für ihre Lähmung die Entwicklung hin zu Pastoralgemeinden. Christen scharen sich um eine charismatische Leiterpersönlichkeit und nennen das dann neutestamentliche Gemeinde. In einem Fall war ich Zeuge, wie einer dieser Leiter seine Schäfchen ein persönliches Treuegelöbnis auf seine Person hat sprechen lassen! Es gibt ? und das ganz besonders in Gruppen, die von einem solchen absoluten Leiter geführt werden ? eine Tendenz zum Besitzdenken: Der Pastor spricht von seinen Gemeindemitgliedern, diese sprechen von ihrer Gemeinde und ihrem Pastor, und das nicht nur in einer Art die meint: Das sind die Geschwister, mit denen ich gewöhnlich zusammenkomme, sondern in wirklich abgrenzender Art. Ich habe einen Pastor gehört, der von seinen Gemeindegliedern verlangt hat, sie sollten in der Art von ihrer Gemeinde und ihrem Pastor sprechen, wie er auch von seiner Frau spricht. Dies ist aber überhaupt nicht vergleichbar. Mit seiner Ehefrau verbindet ihn ein Bund, ebenso wie uns mit Christus ein Bund verbindet. Das Verhältnis unter Brüdern in Christus ist anderer Art. Die einzelnen Glieder am Leib des Christus sind nur über das Haupt miteinander verbunden, durchaus nicht durch persönliche Sympathie (2. Kor. 5, 16f). Dieser Pastor war nun dabei, seine Schafe persönlich an sich zu binden. Dazu hat er kein Recht. Ein vorbildlicher Hirte sollte stets bereit sein, vom Haupt durch einen anderen guten Hirten ersetzt zu werden. Er hirtet die Herde ja nicht für sich selbst, sondern nur stellvertretend für den guten Hirten aller Schafe. Bindet er die Herde an sich persönlich, so stiehlt er seinem Auftraggeber die Schafe.
Wenn heute im geistlichen Bereich von Schafdiebstahl gesprochen wird, so ist meist gemeint, daß die einzelnen Denominationen einander Mitglieder abspenstig machen. Das ist Unsinn. Der eigentliche Schafdiebstahl besteht darin, daß sogenannte Hirten die Herde an sich selbst binden statt an den Christus ? und dadurch Gott bestehlen. Diese Hirten werden dadurch zu Priestern im katholischen Sinne: Mittler zwischen Haupt und Gliedern. Die Schrift (1.Tim. 2, 5) belehrt uns aber, daß es, wie es nur einen Gott gibt, auch nur einen Mittler zwischen Gott und Menschen gibt: Christus. Nachdem Christus die Schafe gestohlen werden, wird ihm durch solche falsche Priesterschaft auch noch seine einzigartige Position streitig gemacht. Wer aber innerhalb des Königreiches Gottes seine eigenen Fürstentümer abgrenzt, begeht Hochverrat und wird auch dafür zur Verantwortung gezogen werden. Kein König, der den Fortbestand seines Reiches sichern will, kann so etwas dulden. Jede Denomination aber ist ein Privatfürstentum innerhalb des Reiches Gottes. In Apg. 20, 29f kennzeichnet Paulus diejenigen, die die Herde, die ja dem guten Hirten nachfolgen sollte, um sich selbst scharen und an sich selbst binden, als die Wölfe, welche die Herausgerufene verderben: »? schwere Wölfe ? nicht verschonende das Herdlein ? daß sie die Lernenden wegzerren hinter sich selber her.«
Dies ist vergleichbar der Situation, die Jesus im Gleichnis vom Weinberg beschreibt, dessen Verwalter diesen unrechtmäßig an sich zu bringen suchen, während der Herr des Weinberges außer Landes weilt (Matthäus 21, 33ff; auch Markus 12; Lukas 9). In diesem Gleichnis spricht Jesus über solche, die das, was Gott gehört, für sich selbst beanspruchen. Dieses Gleichnis ist eine prophetische Unterweisung. Unterweisung deshalb, weil es uns über richtiges und falsches Verhalten belehrt; Prophetie deshalb, weil es künftiges Gericht warnend ankündigt. Warum hören wir über dieses wichtige Gleichnis keine Predigt, die uns zeigt, daß wir gemeint sind? In einer Zeitebene ist diese Prophetie bereits erfüllt. Ganz offensichtlich ist mit dem Gleichnis das damalige Israel angesprochen, das erst die Propheten verfolgt und schließlich den Christus umbringen läßt, was schließlich zum Gericht der Vernichtung des Tempels und der Zerstreuung unter die Nationen im ersten Jahrhundert nach Christus geführt hat. Der Weinberg wurde neuen Pächtern verpachtet (Vers 41). Der geistliche Schwerpunkt der Menschheitsgeschichte ist versetzt worden: Weg vom Alten Bund, hin zum Neuen; weg vom irdischen Jerusalem, hin zum himmlischen. Wenn man aber die dem Gleichnis innewohnende Prophetie mit dieser offensichtlichen Erfüllung damit als abgeschlossen betrachtet, übersieht man, daß sich die Gegebenheiten des Gleichnisses in der Zeitebene des Neuen Bundes wiederholen: Auch die neuen Pächter gebärden sich als Eigentümer des Weinberges. Statt dem Eigner die schuldige Frucht abzuliefern, haben sie den Weinberg nach ihren Vorstellungen umgebaut und aufgeteilt. Wenn wir uns die Herausgerufene ansehen, wie sie im Neuen Testament beschrieben wird, und sie mit der heutigen durchschnittlichen Gemeindewirklichkeit vergleichen, werden wir feststellen, daß der Weinberg nicht mehr wiederzuerkennen ist. Darüber werden wir Rechenschaft geben müssen. Auch wir sind nur Pächter, nicht Eigner.
Auch Jesus hat die Gefahr der Spaltung der Herausgerufenen durch das Prinzip hauptamtlicher Leiterschaft beschrieben (Joh. 10, 11 ? 13): »?Der ideale Hirte gibt sein Leben für die Schafe, aber der Lohnarbeiter und nicht Hirte-Seiende, dem die Schafe nicht zu eigen sind, schaut den kommenden Wolf und läßt die Schafe und flieht ? und der Wolf raubt und verstreut sie ? da er Lohnarbeiter ist und er, ja er sich nicht kümmert betreffs der Schafe.« Jesus vergleicht hier zwei unvereinbare Prinzipien: Der ideale Hirte ist Eigner der Herde, weil er sein Leben für sie dahingibt. Wer also im neuen Bund Hirte sein will, der kann dies nicht durch theologische Ausbildung und Anstellung erlangen, sondern nur, indem er Anteil nimmt an dem Holz, das den Christus zu Tode gebracht hat und auch ihn selbst zu Tode bringen muß. Soweit, wie er dem Christus in Tod und Auferstehung gleichgestaltet ist, wird er auch in Christus (aber gerade nicht als Eigenperson!) Miteigner der Herde. Wer zu Tode gekommen ist, fragt freilich nicht mehr nach Lohn. Die Lohnfrage ist Bestandteil eines gegenläufigen Prinzips, das nicht zum Reich Gottes, sondern zum Bereich der Welt gehört. Jesus stellt nun eine ausdrückliche Kausalität her zwischen dem Lohnprinzip und der Zerstreuung der Schafe. Die Kirchengeschichte und die heutige Gemeindewirklichkeit liefern uns den nachträglichen Beweis: Der Glaube an weltliche Leiterschaftsprinzipien hat zu einer völligen Zersplitterung der Herausgerufenen geführt: Der Wolf hat geraubt und zerstreut.
Das Bild des Hüters, der kein idealer Hirte, sondern ein Lohnarbeiter ist, finden wir schon mehrfach im Alten Bund. So finden wir Klage über die Ältesten und Priester, von denen gesagt wird, daß sie Jahweh betrogen haben, indem sie Speise für sich selbst suchten (Klgl. 1, 19). Wären sie treu gewesen, hätten sie wohl zuerst die ihnen anvertraute Herde versorgt. Auch im Buch Nehemiah finden wir sehr deutliche Hinweise auf Statthalter, Vornehme und Präfekten, die zuerst sich selbst versorgten, gar Teile des Volkes durch ihren Wucher in den Ruin trieben. Dabei war durchaus auch im Alten Bund das Hassen des Sich-Bevorteilens Voraussetzung für ein Amt (2. M. 18, 21). Es ist Teil des geistlichen Aufbruchs beim Aufbau Jerusalems, daß diese Ältesten von Nehemiah zum Umdenken geführt werden und dem verarmten Volk die Schuld erlassen. Sie hatten sicher gemeint, daß sie ihren Besitz redlich und gesetzeskonform erworben hätten, aber im Licht des Wortes sind sie doch als Räuber überführt worden. Nehemiah wird durch die Furcht des Herrn, die ja Anfang aller Weisheit ist, so geführt, daß er nicht das Brot des Volkes ißt, obwohl er als Statthalter das Recht dazu gehabt hätte (Neh. 5). So wird er zu einem Vorbild für Paulus.
Auch Paulus verzichtet auf das Recht der Versorgung, das ihm nach dem Prinzip des Gesetzes ? das da sagt, daß dem dreschenden Rind kein Maulkorb anzulegen sei ? zustehen würde, damit er dem Evangelium des Christus kein Hindernis sei, ja er würde lieber sterben als dies anders zu handhaben. Die Beweggründe dieser Entscheidung legt er in 1. Kor. 9, 8 ? 18 dar. Vers 14 wird dabei häufig falsch verstanden, wenn nicht gar schon falsch übersetzt: »Also auch ordnet der Herr durchdringlich den die Wohlkunde herabkündenden an, aus der Wohlkunde zu leben.« Das Wort »aus der Wohlkunde (dem Evangelium)« heißt also gerade nicht »von der Wohlkunde« sondern »in Übereinstimmung mit und gemäß den Grundsätzen der Wohlkunde«, also nicht nach dem Marktprinzip des Tauschs von Leistung gegen Lohn, sondern nach dem Prinzip der Gnade und des Geistes. Wir haben schon im 2. Thessalonicherbrief gelesen, daß Paulus hierin ausdrücklich nachgeahmt werden will. Auch in 1. Kor. 9 betont er mit scharfen Worten, warum die Freiheit, die ihm das Gesetz einräumen würde, keinesfalls im Neuen Bund Gebrauch finden darf: »um nicht Anlaß zu geben für das Heraushauen der Wohlkunde [des Evangeliums]« (Vers 12 lt. C. Sinaiticus). Dieses »Heraushauen« bedeutet ein beseitigen der Wurzel mit der Axt. Diese Gefahr sieht Paulus für das Evangelium, wenn das Prinzip des Tauschs von Ware gegen Geld hier Verbreitung findet. Die Kirchengeschichte hat bewiesen, wie recht er mit seinen Befürchtungen hatte.
Außer Nehemiah hat Paulus in den Schriften des Alten Bundes weitere Vorbilder gefunden, die ihn in seiner strikten Ansicht bestärkt haben mögen: So lesen wir, daß Elischa, nachdem durch seinen Dienst der aramäische Fürst Naeman vom Aussatz gereinigt wurde, von diesem keinen Lohn annehmen wollte, obwohl dieser ihn außerordentlich dazu drängte: »Bei Jahweh, dem Lebenden, angesichts dessen ich stehe: Wehe, wenn ich etwas nehme!« Naeman war wohl von seiner Krankheit genesen und hatte auch akzeptiert, daß es außer Jahweh keinen Gott gibt, aber natürlich hatte er noch keine Gelegenheit, das Wesen Gottes kennenzulernen, wie wir an seinem weiteren Verhalten sehen können. Er war ein geistlich Neugeborener, und es war Elischa bewußt, daß er diesem jungen geistlichen Leben schaden würde, wenn der Eindruck entstünde, daß Naeman für den Segen Gottes, der ihn durch Elischa erreicht hatte, eine Gegenleistung erbringen könnte. So schafft Elischa eine Abgrenzung zu den Priestern der falschen Götter, die für jede kultische Handlung die Hand aufhalten. Naeman, der sicherlich in seiner Heimat all die verfügbaren Götzen um Heilung angerufen haben wird, bevor er sich nach Israel aufmachte, wird diesen Unterschied ohne Zweifel bemerkt haben. Daß man die wesentlichen Dinge nicht für Geld kaufen kann, war für den ehemaligen Zauberer Simon eine der ersten Lektionen seines geistlichen Lebens (Apg.8,9ff). Und auch Naeman wird sofort über diese Basiswahrheit belehrt.
Auch die andere Stelle des Neuen Testaments, die von dem dreschenden Ochsen spricht (1. Tim. 5, 9 ? 21), müssen wir in ihrem unmittelbaren Textzusammenhang sehen. Hier spricht Paulus von der Verteilung der Unterhaltszahlungen für nicht (mehr) arbeitsfähige Glieder wie z. B. Witwen. Da die Herausgerufene für diese zu sorgen hatte, mußten auch Festlegungen getroffen werden, wer zu berücksichtigen sei und in welchem Maß. In diesem Zusammenhang sagt Paulus, daß die Vorsteher doppelter Ehre gewürdigt werden sollen. Es geht hier also keineswegs um Lohnzahlungen für die Vorsteher, sondern bei der Verteilung der »Pensionsgelder« um eine bevorrechtigte Behandlung für diejenigen Brüder, die sich in der Lebensspanne ihrer Arbeitsfähigkeit neben einer Erwerbstätigkeit obendrein um Wort und Lehre gemüht haben.
Eine irreführende Übersetzung von 1. Tim. 6, 6 nach Schlachter ist schon in Stellung gebracht worden, um wenigstens moderate Pastorengehälter zu rechtfertigen: »Es ist allerdings die Gottseligkeit eine bedeutende Erwerbsquelle, wenn sie mit Genügsamkeit verbunden wird.« Abgesehen davon, daß Schlachter mit dieser Übertragung des Verses recht isoliert dasteht, muß auch dieser Vers im Textzusammenhang der vorhergehenden Verse gesehen werden, sonst könnte wirklich noch jemand denken, der Vers sei als Ermutigung oder Legitimation zu sehen, aus dem »Wohlehren« (eusebia) »Kapital« (poriamos) zu schlagen, und wenn auch mit Genügsamkeit.
Ab Vers 1 werden Anweisungen zum verantwortlichen Wandel im Geist gegeben und vor Irrungen gewarnt, im Vers 5 dann wird der Gedanke, daß das Wohlehren (Frömmigkeit, Gottseligkeit) ein Kapital (Handelsware, Erwerbsquelle) sei, sozusagen als der Gipfel der Irrwege dargestellt ? als »ein Durchlaufen von Nebenstraßen (Irrwegen) des Denkens durchverderbtwordener Menschen, die betreffs der Wahrheit benachteiligt wurden«. Nach diesem groben Hammer, der den Gedanken, daß Frömmigkeit ein Erwerb sei, so scharf verurteilt, kann man Vers 6 nicht einfach so verstehen, als würde da stehen: Na ja, geht schon, wenn Ihr es nicht übertreibt. Tatsächlich wendet Paulus ab Vers 6 dieses Begriffspaar Eusebia / Poriamos vom Gegenständlichen ins Geistliche und weist auf das »geistliche Kapital« hin, das wir mit dem Wohlehren erwerben. Deswegen auch in Vers 7 der Hinweis auf das, was keinen Bestand hat (als Parallele zu 2. Kor. 4, 18: »das Sichtbare ich zeitlich, aber das Unsichtbare aber äonisch«) und ab Vers 8 dann allgemeine Warnungen, reich werden zu wollen, da dies vom in Vers 6 dargestellten »geistlichen Schatz« ablenkt und in verschiedenartige Abwege und Verirrungen führt.
Die vierte Gefahr der Hauptamtlichkeit besteht in der Verführung der Versammlung überhaupt. Besonders diese Gefahr besteht ebenso dort, wo eine Versammlung auf einen Einzelleiter fixiert ist, auch wenn dieser nicht vollzeitlich beschäftigt ist. Sehen wir hierzu ins alte Testament: Die von Gott gesetzten Strukturen erschienen den Israeliten unzureichend: Sie wollten einen König, der vor ihnen herziehe. Dabei haben sie völlig übersehen, daß sie diesen König bereits hatten: Gott selbst wollte ihnen vorangehen, sofern sie in seinen Wegen blieben. Aber sie wollten doch eine greifbare Lösung ? (1.Sam. 8, 19f): »Und das Volk weigerte sich, auf die Stimme Samuels zu hören; und sie sprachen: ?Nein, sondern ein König soll über uns sein, damit auch wir seien wie alle Nationen, und daß unser König uns richte und vor uns her ausziehe und unsere Kriege führe.?« Gott nimmt dieses Ansinnen persönlich: 1. Sam. 8, 7: »Und Jahweh sprach zu Samuel: Höre auf die Stimme des Volkes in allem, was sie dir sagen; denn nicht Dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen, daß ich nicht König über sie sein soll.« Was folgt, ist eine lange Geschichte des Wechsels zwischen Abfall und notdürftiger Wiederherstellung, die wir in den Büchern der Könige und der Chronik in fast ermüdendem Wechsel immer und immer wieder nachlesen können: Gefiel es dem König, in Gottes Wegen zu wandeln, betrug sich auch das Volk leidlich; neigte er dem Götzendienst zu, verfiel auch die Mehrheit des Volkes den Götzen. Diese traurigen Prinzipien wirken auch in der neutestamentlichen Gemeinde. Der Wunsch nach einem Frontmann, der vor dem Volk steht »wie bei den Nationen« ist ungebrochen, ob dieser nun König oder Pastor heißt.
Und auch die Auswirkungen sind die gleichen: Wenn der Präceptor z.B. einer Irrlehre erliegt, wird er den größten Teil der Versammlung damit anstecken, weil die Möglichkeit der Korrektur durch seine Mitbrüder weitestgehend ausgehebelt ist. Auch die pastoralen Netzwerke, die die Hauptamtlichen untereinander verbinden und den Korrekturmangel korrigieren sollen, schaffen hier keine Abhilfe: Häufig sind sie überregional (was nebenher die Verkirchlichung fördert), aber auch das regional begrenzte Pastorenfrühstück kann diese Aufgabe nicht wahrnehmen. Nur eine Brüderschaft, die gemeinsam und gleichberechtigt einer Versammlung vorsteht, kann sich gegenseitig zurechtweisen.
So richtig finster wird es jedoch dann, wenn die Obersten neben ihrem Gehalt auch noch eine besondere Mittlerposition zwischen Gott und ihren Schafen, einen Priesterstatus also, beanspruchen: Dann ist der neutestamentliche Boden endgültig verlassen und wir müssen von Sektiererei sprechen. Wer sich in diesem Sinne als Priester versteht, wird zum Anti-Christos, zu einem Anstatt-Christus, denn er beansprucht eine Position, die Christus bereits ausfüllt. Daß diese Anti-Christoi in großer Menge auftreten, davor warnt uns schon der Apostel Johannes (1. Joh. 2, 18)
Umgekehrt kann auch die Versammlung für den hauptamtlichen Leiter zum Fallstrick werden: Denken wir uns einen angestellten Pastor in einer Volkskirche, der z. B. eine biblische Tauflehre vertreten wollte; vielleicht ist er verantwortlich für eine Familie, hat eine Dienstwohnung, aber keinen bürgerlichen Beruf, und ist mit seiner ganzen wirtschaftlichen Existenz an seine Kirche gebunden. Wenn er jetzt eine Wahrheit lehren will, die in seiner Kirche nicht akzeptiert wird, verliert er vielleicht alles: Einkommen, Dienstwohnung, soziale Anerkennung. Wieviele Brüder sind in einer solchen Situation bereit, alles hinter sich zurückzulassen? Wieviele Wahrheiten haben die Kirchen schon erwürgt, indem sie ihre Diener durch Anstellung erpreßbar halten? Dieses Beispiel ist ja leicht nachvollziehbar und gehört leider zum kirchlichen Alltag, aber das Grundprinzip »Wes? Brot ich eß, des? Lied ich sing.« wirkt auch in sog. freien Gemeinden. 2.Tim. 4, 3 belehrt uns: »Denn es wird eine Frist sein, alsdann werden sie die gesundseiende Belehrung nicht ertragen, sondern gemäß den eigenen Begierden werden sie sich selbst Lehrer aufladen, als durch sie das Gehör kitzelnde?«.
Auch stellt sich, wenn ein bezahlter Prediger das Wort ergreift, immer die Frage: Redet er, weil der Heilige Geist ihn treibt, oder weil er jetzt seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommt?
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich sage nicht, daß es in der Herausgerufenen keine Unterstützung für den Lebensunterhalt dienender Brüder geben könne. Ich sage nur, daß dies eher die Ausnahme ist. Die schriftwidrige Art des christlichen Funktionärstums, die sich in der Vergangenheit herausgebildet hat, ist die Basis ist für »pastorenkirchliche« Strukturen. Und es ist ein durchaus unanständiger Gedanke, daß Evangelist, Hirte, Lehrer, Apostel oder Prophet Berufswünsche beziehungsweise Karriereziele wären wie Immobilienmakler oder Gebrauchtwagenverkäufer. Dort, wo junge Menschen von der Schule weg und ohne jahrelange treue Bewährung im Beruf auf Seminaren und Bibelschulen ausgebildet weden mit der Zielsetzung, hernach in den »vollzeitlichen Dienst zu gehen«, können wir eine Verirrung annehmen, weil dies nicht der Alltagsverankerung des Evangeliums, wie wir sie in der Schrift finden, entspricht.